Trauer - Meine Erfahrungen mit Bestattern / Beerdigungsinstituten. Richtige Auswahl?

Trauer - Meine Erfahrungen mit Bestattern / Beerdigungsinstituten. Richtige Auswahl?

Letzte gemeinsame Zeit.

Ich möchte Dich auf eine Reise in unsere Vergangenheit mitnehmen. Eine sehr traurige, persönliche Reise, aber durch diese kann ich Dir vielleicht besser meine Erfahrungen nahe bringen, die wir, die ich gemacht habe. Ich beginne mit der Zeit, als mein Liebster noch lebte, damit die Zusammenhänge zu verstehen sind.


Als mein Partner an Knochenkrebs verstorben ist, war ich gerade 27 Jahre alt. Mit dem Thema Beerdigung haben wir uns vorher auseinandergesetzt.

Was aber auch sehr wichtig gewesen wäre, dass wir uns auch vorher um einen Bestatter gekümmert hätten.


Meiner Meinung nach, haben wir, habe ich mich mit dem Thema sehr spät, zu spät, beschäftigt, weil mir die Lebenserfahrung fehlte. Dabei ist das das wichtigste, sich vorher Gedanken darüber zu machen, über den Menschen, der die Beerdigung, den Abschied „ausrichten“ wird, einen sehr intimen und persönlichen Moment im Leben.


Ein paar Wochen zuvor ist unsere gemeinsame Freundin Ulrike im Alter von 20 Jahren verstorben. Sie hatte die gleiche Krebsart wie mein Lebenspartner. Die Bindung zwischen den beiden war besonders, weil sie „Leidensgenossen“ waren und einer wusste genau, was der andere hinter sich hatte. Nur jemand, der durch diese Hölle gegangen ist, konnte es nachempfinden. Marios größter Wunsch war, an Ulrikes Beerdigung teilzunehmen, was sehr schwierig werden sollte, weil er selbst mit Nierenversagen in der Klinik lag und jeden zweiten Tag Dialyse benötigte. Ich habe alles daran gesetzt ihm den Wunsch zu erfüllen. Also mussten Sauerstoff, Pflegebett und weitere Dinge schnell organisiert werden.



Verliebte Jungs - erstes gemeinsames Foto


Wir wussten seit Wochen, so schwer es für uns auch war, dass seine Lebenszeit begrenzt ist. Nach der Beerdigung von Ulrike haben wir uns gemeinsam aufs Bett hingelegt und uns im Arm gehalten, gemeinsam um sie geweint. Auf ein Mal schaute er mich an und sagte mit Tränen in den Augen zu mir: „Wir müssen über meine Beerdigung sprechen. Denn ich bin der nächste auf der Station, der gehen wird.“ Mir stockte der Atem, mir kullerten die Tränen runter. Klar hat er schriftlich niedergeschrieben, dass er möchte, dass ich alleine die Beerdigung organisiere, aber die Einzelheiten waren nicht geklärt, also war der Zeitpunkt da, um darüber zu sprechen.


Ich stand auf, nahm einen Block und einen Stift in die Hand, legte mich wieder zu ihm und wir fingen an über seine Beerdigung zu sprechen, was er sich wünschen würde, was mir wichtig wäre. So kamen folgende Stichpunkte zusammen, die wir vier Tage vor seinem Tod noch ergänzt haben, in einem zweiten intensiven Gespräch mit sehr vielen Tränen.



Unsere Verlobungsringe


Bestattungsart: Erdbestattung

Körperwäsche und Anziehen von mir.

Verlobungsring anziehen

Alle können sich von ihm verabschieden, nur direkt nachdem er verstorben ist im Krankenhaus

Gottesdienst in einem anderen Dorf, das eine große Kirche hat

Keine Aufbahrung im offenen Sarg

Sargaufbau direkt auf dem Friedhof, so kommen alle in das Dorf zurück, nur wegen ihm

Auf welchem Friedhof er beigesetzt werden möchte

Eine ungefähre Idee, wie der Grabstein aussehen könnte

Weißer Sarg

Statt Erde, Rosenblätter, die über den Sarg gestreut werden

Weißer Pullover, Clownhose, warme Socken

Trauerkarten, die bei der Beerdigung verteilt werden mit seinem Bild

Richtige Sargträger, wenn wir uns die leisten können


Da wir vorher auf einer Beerdigung waren, konnten wir uns darüber besser unterhalten. So wusste ich, was ihm wichtig war, so wusste ich seine Wünsche und konnte meine Wünsche mit einfließen lassen, aber doch war ich nicht vorbereitet und möchte über meine weitere Erfahrungen schreiben.


Reise über die Regenbogenbrücke und Abschied im Krankenhaus



Letztes gemeinsames Bild von uns


Der Tag war ein Sonntag, kurz vor Mitternacht, als mein Freund über die Regenbogenbrücke reiste, ich war bei ihm. Ich betätigte die Klingel, die Schwester kam ins Zimmer, dachte die Morphiumpumpe wäre leer. Dabei lachte ich und sagte: „Die braucht er nicht mehr, er ist vor paar Minuten von uns gegangen.“ Es kam sofort die diensthabende Ärztin dazu. Da ich gelacht habe und sagte „Er hat es geschafft“, haben sie gedacht, ich stehe unter Schock. Es war aber nicht der Fall. Das kann aber vielleicht nur jemand verstehen, der hilflos zugesehen hat, wie sein Liebster leidet und um jeden Atemzug kämpft, weil seine Lunge voller Metastasen war. Das Morphium hat zwar die Schmerzen gelindert, aber der letzte Weg war doch so schwer, anstrengend, lang und steinig für ihn. Er hat es geschafft, war einfach die erste Erleichterung, die ich verspürt habe.


Ein paar Wochen zuvor, als unsere Freundin starb und ihre Mutter, die gleichen Worte mit einem Lächeln im Gesicht zu mir sagte: „Sie hat es geschafft und ist friedlich eingeschlafen.“ habe ich es nicht verstanden. Erst nach dem mein Freund ging, wusste ich, wie sie es gemeint hat. Es gab für mich zu dem Zeitpunkt nichts schlimmeres, als hilflos dabei zu sein und nichts für ihn tun zu können, damit seine Vorbereitung auf die Reise leichter wird.


Nachdem mein Freund ins Bett gelegt wurde, weil er im einem Sessel starb, die Ärztin den Tod festgestellt hat, fing ich an zu funktionieren. Ich bat die Ärztin und die Krankenschwester das Zimmer zu verlassen, damit ich meinen Freund waschen konnte. Er hat sich immer nur von mir waschen lassen, deswegen war es selbstverständlich, dass ich es übernehmen werde. Er hatte ein so großes Schamgefühl sich vor anderen auszuziehen, auch vor Ärzten, mit einer Ausnahme, seiner Lieblingsärztin.


Ich wusch ihn, habe ihn dabei an den Beinen gekitzelt und geweint, zu ihm immer wieder gesagt: „Jetzt kannst Du nicht mehr lachen und Dich wehren, weil es kitzelt. Bitte lache noch einmal von Herzen, bitte!“, aber es kam keine Reaktion. Dann zog ich ihm die Boxershorts an, warme Socken, die bereit lagen. Welches T-Shirt? Ist es egal? Haben wir keines ausgesucht… wieder geweint. Dann schaute ich an mir runter, ich hatte gerade vor paar Stunden mein Lieblingstshirt angezogen von Rosenstolz mit der Aufschrift: „Was kann ich für Eure Welt.“ Also zog ich das aus und ihm an. Ich klingelte nach der Schwester, ließ mir frisches Verbandzeug bringen und habe seine Wunden am Knie versorgt, als ob er noch leben würde. Es gab einfach Sachen, die mir sehr wichtig waren.




Ich bat die Schwester mir zu helfen, ihm die Clown-Hose von mir und den weißen Pullover, den Oma für ihn gekauft hat, anzuziehen. Sie gab mir eine Schere und meinte, ich solle den Pullover hinten aufschneiden, es würde leichter gehen, es wie ein OP Hemd dann anzuziehen. „Auf gar keinen Fall, auch wenn es länger dauert, wir ziehen ihn normal an.“ Ich weiß, dass es oft gemacht wird, aber für mich war klar, dass ich das nicht möchte. Es war schwer ihn anzukleiden, weil er nicht mithelfen konnte, aber wir haben es geschafft. Er nannte die Hose immer Clown Hose, weil sie Schwarz-Gelb war, mit vielen bunten Stickern. Ich zog diese früher sehr oft an und sie gefiel ihm so gut. Da nannte er mich seinen großen Clown, der ihn immer zum Lachen bringt.


Eine Freundin, die bei ihm am Bett saß, streichelte seine Haare und hielt mit dem Handtuch seinen Unterkiefer fest, bis die Todesstarre einsetzte, damit der Mund geschlossen blieb. Seine Augen ließen sich nicht schließen. Da meine Mutter in der Altenpflege arbeitete, wusste ich viele Dinge, die auf mich zukommen, wenn er verstorben ist. Ich begab mich kurz nach draußen um alle telefonisch zu informieren, dass sie ca. zwischen 3 und 7 Uhr Nachts Abschied nehmen können.


Nach dem letzten Anruf, draußen auf der Dachterrasse, es war sehr windig, kniete ich mich hin und fing zu schreien an, denn ein Schmerz durchzog meinen ganzen Körper. Ich habe begriffen, dass ich nachher alleine nach Hause fahren werde. Dass er nun die letzte Reise ohne mich angetreten hat. Dass ich ab jetzt alleine sein werde und alle jetzt nur über ihn in der Vergangenheitsform sprechen werden. Wie lange ich weinend auf dem Boden kniete, weiß ich nicht mehr. Eine fremde Ärztin kam auf die Terrasse und hat mich aufgehoben und wie auf Knopfdruck funktionierte ich wieder. Ich rieb mir mit dem T-Shirt meine Tränen aus den Augen, sagte: „Keine Sorge, alles ok, mein Freund ist auf der Kinderkrebsstation gerade verstorben!“ ich entschuldigte mich sogar, dass ich laut war und ging wieder rein.


Zurück im Zimmer bemerkte ich, dass in meiner Abwesenheit die Krankenschwester alles weggebracht hatte, was mit Krankenzimmer zu tun hatte. Nachttisch, Infusionsständer usw. Das Bett stand in der Mitte des Zimmers mit Stühlen drumherum. Es lief leise Musik und das Zimmer war nun mit Trauer und Schmerz gefüllt. Ich nahm den schönen riesigen Rosenstrauß, den ich ihm vor paar Tagen geschenkt hatte und schnitt die Rosenköpfe ab. Ich positionierte diese rechts und links auf dem Bett, abwechselnd in weiß / rot. Zwei Rosen gab ich ihm in die Hände. Nun war es so weit, dass alle, die wollten, Abschied nehmen konnten.


Ich ließ noch den Priester anrufen, der paar Tage zuvor die Krankensalbung bei ihm gemacht hat, dass er kommen soll, weil ich das Bedürfnis hatte, mit einem Geistlichen zu beten.


Dieser kam ins Zimmer. „Der hat aber lange gebraucht, gekämpft! Lass uns beten wie uns der Vater gelehrt hat: Vater unser im Himmel……..“ Ohne eine Wort des Trostes ging er wieder raus, ich verdrehte die Augen und sagte nur: „Was war das gerade gewesen?“ Die erste Enttäuschung. Ich weiß, es war mitten in der Nacht, aber da habe ich mich das erste Mal im Stich gelassen gefühlt, von der Kirche.


Als sich alle verabschiedet haben, Familie, die Ärzte, Pflegepersonal, wurde ich gefragt, ob ich so weit wäre, dass mein Liebster jetzt abgeholt wird? Ich nickte nur, ja. „Suche bitte einen Bettbezug aus dem Schrank raus, mit dem wir Mario zudecken werden“. Ich ging an den Schrank, suchte einen schönen bunten Bettbezug aus, da es die Kinderkrebsstation war. Ich deckte ihn bis zum Hals zu und dann stand ich da und konnte sein Gesicht nicht verdecken. Ich küsste ihn mehrmals auf den Mund und bedankte mich für die Zeit, für die Liebe und dass er für uns gekämpft hat. Die Oberschwester nahm mich fest in den Arm und deckte ihn anschließend für mich zu. Als die Pfleger ihn mit dem Bett raus fuhren, setzte ich mich in eine Ecke im Krankenzimmer und habe bitterlich geweint.


Wie lange ich da saß, weiß ich nicht mehr. Alle haben mich in Ruhe gelassen, sie haben nicht gedrängelt. Die Tasche stand zusammengepackt. Ich nahm sie in die Hand und drehte mich noch ein Mal in dem Zimmer um, schaute mir alles genau an und prägte mir unseren Geruch noch ein Mal ein. Ich erinnere mich dann noch, dass zwei Mitarbeiter der Hausreinigung in das Zimmer rein gingen mit Putzeimern, die nach Desinfektionsmittel rochen. Sofort schnupperte ich an dem Pullover von Mario, den ich anhatte, um seinen Geruch zu riechen, der mir wieder Sicherheit gab.


Ich wurde am Schwesternzimmer gefragt, ob ich uns an der Anmeldung abmelden möchte, oder ob das die Station übernehmen sollte? „Ich werde uns abmelden.“ So ging ich zur Anmeldung mit seiner Krankenkasse Karte und meldete uns mit den Worten ab. „Wir haben uns so oft gesehen, immer wieder haben wir uns bei Ihnen an- und abgemeldet, heute melde ich uns das letzte Mal ab. Mein Freund hat es geschafft, über die Regenbogenbrücke zu gehen…“ Und wieder liefen die Tränen. Ich verabschiedete mich und wollte nur einfach raus aus dem Krankenhaus. Die Beine waren so schwer, ich lief den Gang entlang zu dem Fahrstuhl, wie in einem Film. Alles um mich herum war so unwirklich.


In der großen Eingangshalle der Uniklinik, so viele Menschen um mich herum, sie lachten, sie redeten, es war Montagmorgen, die Sonne schien durch die Fenster mittlerweile herein und mein einziger Wunsch war nach Stille, nach Ruhe. Dass die Welt stehen bleibt, wenigstens für einen Moment. Die Sonne sollte untergehen, ich wollte einfach nur Stille und Dunkelheit. „Merkt kein Mensch was los ist? Geht das Leben weiter, als wäre nichts passiert?“ sagte ich zu meiner Freundin ganz laut mit weinender Stimme.


Am Auto angekommen, stellte ich mir die Frage, wie ich jetzt 60 Km fahren soll, weil ich fast sieben Tage ohne Schlaf war. Wie ich zur seiner Oma kam, weiß ich bis heute nicht. Nur, dass ich auf der Autobahn laufend angehupt worden bin. „Warum hupen die Idioten, geht es denen nicht schnell genug?“ Meine Freundin erwiderte: „Nein, sie hupen, weil Du gerade 50 bis 60 Km/ h auf der Autobahn fährst!“ Das ist das einzige, was ich noch weiß. Heute würde ich es nicht machen, aber ich war wie in Trance.


Erste Kontakte mit dem Bestattern und Planung der Bestattung.


Bei der Oma angekommen, fragte ich, ob sie ein Beerdigungsinstitut kennt? „Du kannst in den Gelben Seiten nachsehen.“ Also nahm ich diese und rief ohne Plan an. „Guten Morgen, mein Freund ist im Alter von 21 Jahren heute Nacht verstorben, in Aachen, er müsste irgendwie abgeholt werden aus der Uniklinik. Er hat sich einen weißten Sarg gewünscht. Wie mache ich es mit der Beerdigung? Was muss ich jetzt tun?“


"Einen weißen Sarg für Erwachsene führen wir nicht! Sie können sich aber einen Sarg aussuchen und wir streichen den gemeinsam weiß an?“ Ich dachte, ich höre nicht richtig.


Der nächste Bestatter: „Weißen Sarg für Erwachsene können Sie vergessen!“


Der nächste: „Kein weißer Sarg. Aachen ist ja weit, Sie wohnen in Köln, wir können es nicht erledigen, außer, Sie kommen zu uns. Denn wir sind ein Familienbetrieb und können wegen nur eines Trauerfalles nicht Tage unterwegs sein! Nach Aachen, nach Köln, das geht nicht!“


Ich weiß nicht, wie viele solcher Telefonate noch folgten, bis ich mir sagte: „Schluss, kein Anruf mehr bei Bestattern, keine Beerdigung!“


Deswegen rief in der Uni Klinik auf der Station an und fragte: „Wie dringend / schnell muss mein Hase abgeholt werden? Wie viel Zeit habe ich? Ich habe im Moment Probleme, ein passendes Beerdigungsinstitut zu finden!“ und wieder weinte ich, aber dieses Mal aus Überforderung, aus Angst, seine Wünsche nicht umsetzen zu können und weil ich mich so alleine gelassen fühlte. Von den Beerdigungsinstituten kam kein Wort des Trostes, nur, "können wir nicht, haben wir nicht, geht so nicht!" „Lass Dir Zeit, er kann hier ein paar Tage bei uns in der Uniklinik bleiben, ich kläre das für Dich! Mach Dir jetzt keine Sorgen. Du hast eine sehr schwere Zeit hinter und vor Dir. Unsere Sozialarbeiterin ruft Dich heute am Nachmittag an.“


Ich rief meine Mutter an. Sie hatte Nachtschicht, deswegen habe ich sie noch nicht informiert, sondern meinen Bruder. Als sie mein leises "Hallo" hörte, sagte meine Mutti: „Mario war heute Nacht bei mir, um sich zu verabschieden, es war um kurz vor Mitternacht, als ich auf die Uhr geschaut habe. Als Papa mich abholte, habe ich ihm von Marios Besuch erzählt.“ Ich weinte bitterlich und erzählte durcheinander, zuerst über seine Reise, dann über die Beerdigungsinstitute, dann über das Anziehen, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich alles so gemacht habe, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Meine Mutter bat mich, wenn es geht, langsam die restlichen 30 Km nach Köln zu fahren, aber nicht über die Autobahn. „Versuche ein bisschen zu schlafen. Wir sind für Dich da, wenn Du uns brauchst.“ das beruhigte mich ein bisschen, weil ich wusste, ich kann mich auf meine Eltern verlassen.




Marios Tante telefonierte währenddessen mit dem Priester aus der Gemeinde, bei dem wir vorbeifahren sollten, um einen Termin für die Beerdigung abzuklären. Sie übernahm die Fahrt, wofür ich sehr dankbar war. Ich weiß nur, als ich gesagt habe, dass "Mein Lebenspartner im Alter von 21 Jahren an Krebs heute Nacht verstorben" ist, dass er sehr abweisend auf mich wirkte. Kurz angebunden seinen Kalender durchblätterte und sagte: „Hatte er keine Familie? Jetzt am Donnerstag um 14 Uhr würde es mir passen!“ Ich schluckte und erklärte, „Ich brauche mehr Zeit als drei Tage und sein Wunsch war, dass ich die Beerdigung organisiere.“ „Na gut, normal soll der Verstorbene nicht über Sonntag liegen bleiben, aber dann am Montag, den 31.10. um 14 Uhr, da einen Tag später Allerheiligen ist. Was für eine Trauerfeier? Sprechen Sie, Freunde und die Familie, frei gestaltet oder eine Eucharistie Messe?“ Da war ich wieder überfragt und sagte nur: „Eine Messe in der großen Kirche, weil die Dorfkirche zu klein ist, Beisetzung in Rath, wo er geboren ist. Einzelheiten können wir telefonisch klären.“ Ich fand das Gespräch sehr unangenehm. Da dachte ich mir das erste Mal: „Hätte ich ihn nicht überredet in dem Dorf beerdigt zu werden, sondern in Köln!“ Aber ich wollte, dass er dort wo er aufgewachsen ist, seine Oma, seine Familie lebte, beigesetzt wird. Es war doch fast sein ganzes Leben sein Zuhause, seine Heimat.


Um 14 Uhr läuteten die Totenglocken in der Dorfkirche für meinen Schatz, so wussten alle, es ist jemand aus dem Dorf von uns gegangen. Als ich zuhause ankam, rief ich nur kurz mein Vater an, dass ich jetzt schlafen gehen werde. Ich lag schon im Bett, als die liebe Sozialarbeiterin aus der Uniklinik mich anrief. Sie erklärte mir, dass Mario bis Freitag in der Klinik bleiben dürfte. Sie hörte mir zu, mit meinem Problem mit den Bestattern und dem weißen Sarg und sagte mir, dass sie schnell versucht die Frau H. vom Förderkreis Hilfe für krebskranke Kinder e.V. zu erreichen, sie könnte mir bestimmt weiterhelfen.


Frau H. hat mich fünf Minuten später angerufen und erklärte mir, dass sie mit einem Bestattungsinstitut aus Aachen zusammen arbeiten würden. Sie hätten schon mehrere Beerdigungen für Kinder aus der Krebsstation „gemacht“, wären sehr einfühlsam und würden mir weiterhelfen, Marios Wünsche umzusetzen. Frau H. fragte mich ob sie meine Kontaktdaten weitergeben dürfte, ich bejahte es sofort und war so dankbar, dass mich „fremde“ Menschen unterstützt haben, die Mario zu Lebzeiten oft unter die Arme gegriffen haben.


Ein paar Minuten später klingelte erneut das Telefon. Eine sehr nette Stimme meldete sich, „Beerdigungsinstitut Werner aus Aachen“ (Mit wem ich den ersten Kontakt hatte, weiß ich bis heute nicht). Der Mann wollte zuerst wissen, was passiert ist. Wie es mir im Moment geht. Ob ich genaue Vorstellungen für die Beerdigung habe, außer dem weißen Sarg. Er bot mir sogar an, bei mir in Köln vorbei zu kommen, um alle Einzelheiten zu klären. Ich weiß nur, dass ich nur noch geweint habe und sagte „Ich kann heute keine Entscheidungen treffen, darf ich Morgen bei Ihnen vorbei kommen?“ Ich hatte 7 Tage kaum geschlafen und war ausgebrannt. „Kein Problem, wann passt es Ihnen am besten? Oder noch besser rufen Sie morgen an, wenn Sie ein bisschen ausgeruht sind! Machen Sie sich keine Sorgen, der weiße Sarg wird kein Problem sein! Entweder Sie kommen nach Aachen, oder wir kommen zu Ihnen. Noch ein Mal mein tiefstes Mitgefühl zum Verlust Ihres Partners“. Ich war so erleichtert, dass ich nach dem Telefonat sofort eingeschlafen bin, eingekuschelt in Marios Decke.


Am nächsten Tag wachte ich um 7 Uhr auf. Ich hatte über 14 Stunden geschlafen. Ich lag im Bett und schaute zur Tür, weinte und wünschte mir, er würde jetzt durch die Tür reinkommen, es wäre alles nur ein Traum. Ich kuschelte mich in sein Kissen, es roch nach ihm. Kraftlos bin ich aufgestanden und rief den Bestatter an, dass ich gegen 16 Uhr vorbeikommen würde und er teilte mir mit welche Unterlagen ich bitte mitbringen soll. Vorher wollte ich beim Friedhofsamt vorbei, um einen Platz für sein Grab auszusuchen. Dort wurde ich aufgeklärt, über Reihengräber und Wahlgräber. Der Mitarbeiter zeigte mir den Plan von dem Friedhof und ich sollte entscheiden, wo das Grab sein soll. Ich fragte ihn, ob er mit mir vor Ort fahren könnte, um eine Entscheidung treffen zu können. Also trafen wir uns 30 Minuten später auf dem Friedhof. Ich suchte eine neue Reihe aus, unter einer Birke. Bisschen Schatten, bisschen Sonne.




Um 16 Uhr kam ich bei dem Bestattungsinstitut an. Ein netter Herr im dunklen Anzug hat mich empfangen, er nahm mich sogar kurz in den Arm, als er mir persönlich kondoliert hat. Ich wusste nicht recht, was auf mich zukommt. Als erstes übergab ich dem Bestatter Marios Geburtsurkunde, die Vollmacht, dass ich die Beerdigung ausrichten darf, Rentenversicherungsnummer, Krankenkassenkarte und seinen Ausweis.


Ich erklärte ihm kurz anhand von einem Bild der Stelle auf dem Friedhof, wo der Sarg aufgebahrt wird. Er zeigte mir ein paar Bilder, welche Dekoration ich gerne haben könnte, so hatte ich direkt eine Vorstellung und habe eine schlichte Dekoration ausgesucht. Ich entschied mich, dass auf dem Sarg ein schönes Gesteck sein soll mit roten und weißen Rosen. Eine weiße Schleife mit goldener Schrift auf der stehen sollte: „In Liebe“ „Marek Jan“. Ich fühlte mich sehr gut aufgehoben und das erste Mal verstanden.


Dann gingen wir in einen Ausstellungsraum und der Bestatter zeigte mir, welche Särge ich in weiß erhalten könnte. Die Preise hat er mir auch direkt genannt, so wusste ich, welche Kosten auf mich zukommen. Auch hier habe ich mich für einen schlichten Sarg entschieden mit einem Holzkreuz, das auch weiß sein sollte. Innen sollte der Sarg auch weiß ausgeschlagen sein, nur ein Kissen, keine Decke.


Bei der Traueranzeige, war ich wieder überfordert… Kein Thema, ich könnte dies auch per Mail schicken, bis Freitag hätte ich Zeit. Der Herr machte mir ein paar Kopien, wie diese aussehen könnte, weil ich eine große Anzeige mit Bild haben wollte, das wusste ich bis zu dem Zeitpunkt, mehr nicht.


„Mario sollte bis Freitag in der Uniklinik abgeholt werden. Ich würde ihn gerne noch ein Mal im offenen Sarg sehen. Wenn es geht vor der Beerdigung, da der Sarg bei der Beerdigung verschlossen sein soll, so hatte es sich Mario gewünscht. Ich habe gerade gesehen, dass sie einen Mercedes als Trauer Wagen haben (Das Wort Leichenwagen wollte nicht über meine Lippen). Ich würde mich freuen, wenn Sie diesen Benz nehmen würden, denn Mario liebte Mercedes über alles, seine letzte Fahrt wäre in einem Auto nach seinen Geschmack, was die Marke angeht. Er ist schon angezogen und gewaschen. Bitte so, wie er im Bett liegt, ihm in den Sarg legen auch mit den Blumen und dem Teddy von seiner Nichte. Die Augen sind leicht offen, bitte keine Linsen einsetzen, sie sollen so bleiben, wie sie sind. Wenn was sein sollte, können wir es noch telefonisch klären.“


Ich fuhr durch die Gegend nach dem Besuch bei dem Bestatter. Mir gingen so viele Dinge durch den Kopf und ich wollte nicht nach Hause. Ich parkte an einem Ort mit einem schönen Ausblick, wo ich oft mit Mario früher war, als wir unterwegs waren und schrieb mit seinem Handy eine SMS an alle seine Kontakte. Im dem Moment, als ich die SMS versendet habe, dachte ich mir, wie schrecklich es für alle sein muss, eine SMS von seinem Handy zu erhalten, aber alle Nummern abzutippen war in dem Moment einfach zu viel für mich. Ich teilte allen mit, wann die Beerdigung sein wird und dann heulte ich noch stundenlang im Auto bis ich nach Hause fuhr.

Zuhause angekommen setzte ich mich an den PC und entwarf die erste Traueranzeige. Sendete diese Marios Vater zu, weil ich nicht wusste, wer alles in der Anzeige erwähnt werden sollte und welcher Spruch passend wäre. Ich bekam eine Antwort, mit einem Vorschlag, den ich dann noch überarbeitet habe und nun war die Anzeige auch soweit fertig für den Versand per E Mail an den Bestatter.


Die Recherche im Internet nach einer Druckerei für die Trauerkarten, die bei der Beisetzung ausgeteilt werden sollten, war nicht leicht. Am nächsten Tag habe ich alle Druckereien abtelefoniert und eine gefunden, die diese für mich bis Montagmorgen drucken könnten. Also versendete ich den Entwurf vorab per E Mail und fuhr dort vorbei, um mir einen Probedruck anzusehen.


An dem Abend gab es noch eine Begegnung, die für mich nicht schön war, über die ich auch nicht viel schreiben möchte. Es wurde in Frage gestellt, ob ich berechtigt bin, seine Beerdigung alleine auszurichten und weitere Sachen. Wegen Gerüchten und Streitereien kam es an dem Abend zur Testamentseröffnung. Mario hat für diesen Fall ein Video vorbereitet, dass ich an dem Abend allen betreffenden Personen vorgespielt habe. Ich weiß, dass manche sich vielleicht übergangen gefühlt haben, dass ich nach seinem Tod „alles alleine“ entschieden habe. Dabei habe ich nur nach Wünschen von Mario gehandelt! Seine Oma wollte er mit dem Thema nicht belasten, mit den anderen wollte er über das Thema nicht reden. Wir waren zusammen, gingen gemeinsam durch gute und schlechte Zeiten, wir waren ein Paar, haben zusammen gewohnt, gelebt, deswegen war es für ihn selbstverständlich, alles in meine Hände zu legen. Ich wollte niemandem etwas Böses, aber manche Entscheidungen die Mario getroffen hat waren vorher allen bekannt, z.B. dass alle sich von ihm nur im Krankenhaus, nachdem er verstorben ist verabschieden dürfen. Ausnahme, eine Begleitperson für mich.


Den Donnerstag verbrachte ich nur im Bett. Der Bestatter rief mich am späten Nachmittag an, dass sie Mario, wenn es draußen dunkel ist, in der Uni Klinik abholen werden. „Im Moment ist die Kühlzelle in Nörvenich defekt, wir haben jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder bringen wir Mario im Sarg in die kleine Kirche, nach Rath, oder bis Montag auf den Friedhof in Aachen. Sie müssen es jetzt entscheiden.“


„Bitte Aachen!“ war meine klare Entscheidung. Ich wusste nicht, wer dann alles Zugang zu der Kirche im Dorf gehabt hätte, des Weiteren war in der Kirche eine Totenwache für Mario vor der Beerdigung geplant. „Gut, dann können Sie morgen um 14 Uhr nach Aachen kommen, um Mario im Sarg zu sehen. Die Adresse sende ich Ihnen per SMS zu.“


Ich stand auf, ging duschen, zog mich dann an. Telefonierte mit seinem Vater, Oma, Schwester, ob sie Mario etwas in den Sarg legen möchten, wenn ja, würde ich die Sachen noch am Abend abholen. Seine Oma bat ich zusätzlich Marios Rosenkranz von der Heiligen Kommunion rauszusuchen.



Der Tag des Wiedersehens am offenen Sarg


Am Freitag fuhr ich zu dem Kiosk im Dorf, kaufte für Mario und mich je ein Päckchen Zigaretten, wie immer, wenn wir dort waren. Sein Päckchen machte ich auf, nahm Zigaretten raus und setzte mich mit unserer Freundin auf eine Bank und rauchte eine. Anschließend fuhren wir zu dem Friedhof, wo wir mit dem Bestatter verabredet waren. Ein riesiger Friedhof, mit mehreren Gebäuden, so dass ich mich durchfragen musste, wo wir hinmüssen.


Ich ging in ein Büro und sagte: „Guten Tag. Mein Name ist Marek Jan S, Ich bin hier verabredet mit dem Bestattungsinstitut Werner.“ „Name der Leiche?“ Ich musste in den Moment schlucken. „Mario Lüttgen“. „Setzen Sie sich in die Wartezone, das dauert noch.“ Meine Freundin merkte mir an, wie mich das Wort Leiche verstört hat. Es saßen mehrere weinende Familien in der Wartezone. Paar Minuten später brüllte der unfreundliche Typ wie ein Affe ganz laut durch die offene Tür: „Leichenschau Lüttgen wäre soweit!“ Meine Hand ballte sich zu einer Faust, ich stand auf und ging Richtung des Büros, weil ich ihm eine reinhauen wollte. In dem Moment war ich sauer, aggressiv, verletzt. In gleichen Moment kam aber der Bestatter die Treppe hoch und nahm mich zur Seite. „Ich kann verstehen, dass Sie jetzt wütend sind, zu Recht! Ich entschuldige mich in aller Form für diesen A…, aber so sind sie eben hier. Kommen Sie bitte mit, wir gehen jetzt zu Mario. Ich werde es nachher mit dem Friedhofsleiter klären. Machen Sie sich nicht die Finger schmutzig, das ist der nicht wert!“


Ich atmete tief durch und folgte den Bestatter. Wir gingen die Treppe hinunter. Wie ich es im meiner Erinnerung habe, war es ein langer Flur. Es sah wie eine kleine Einkaufspassage aus, mit verhüllten Schaufenstern / Glaseingangstüren auf der rechten Seite des Flures. Wie viele es waren, das weiß ich nicht mehr. Ich kannte es aus Frankenthal von der Beerdigung meines Onkels. Wenn man auf einen Schalter drückte, ging der Vorhang zur Seite und der Verstorbene war im Sarg zu sehen. „Ich würde aber gerne in den Raum reingehen, nicht nur durch Glas schauen!“ sagte ich direkt, als wir vor einem „Schaufenster“ standen. „Ja, Sie können selbstverständlich zu Mario reingehen.“ Sagte er mit beruhigender Stimme zu mir. Ich atmete ein paar Mal tief durch und ging rein.




Da lag mein Hasi. In einem weißen Sarg, als ob er schlafen würde. Augen immer noch leicht geöffnet, ein Lächeln im Gesicht. „Wie haben sie Dich hier in den Sarg hingelegt?“ fragte ich ihn mit leiser Stimme. Als erstes gab ich ihm einen Kuss auf die Stirn, habe ihm die Hände auseinandergelegt, die anders gefaltet waren als im Krankenhaus. Es sah so verkrampft aus. Ich zog ihm über die rechte Hand ein Freundschaftsbändchen, von seiner kleinen Schwester. Die Hände legte ich locker übereinander. Seinen Kopf hob ich vorsichtig an und legte diesen auf einen Bären, der sich als Kopfkissen eignete, der kam von meiner Mutter, damit er weich und kuschlig lag. Seine Diddelmaus habe ich neben ihn gelegt, die er von mir geschenkt bekommen hat, als er das erste Mal im Krankenhaus war, die ihn immer begleitet hat und auf ihn aufpassen sollte. In die Hosentasche steckte ich ihm sein Handy, ein angebrochenes Päckchen Zigaretten mit Feuerzeug. In die andere Tasche den Geldbeutel, mit ein bisschen Geld und einen Brief von mir. Rosenkranz von Oma, Brief von Papa und andere Sachen. Da er wie im Krankenhaus ausgesehen hat, habe ich mich entschieden Fotos im Sarg zu machen. „Wenn ich noch gut aussehe, kein eingefallenes Gesicht habe, machst Du ein paar Fotos, aber nur wenn ich fotogen bin,“ scherzte er im letzten Gespräch über die Beerdigung mit mir.


Meine Freundin hat mich mit Mario alleine gelassen, damit ich mich verabschieden konnte. Ich habe mit ihm viel gesprochen und geweint. Habe ihm immer wieder über die Haare gestreichelt und ihn geküsst. „Ich bin so weit um zu gehen, ich liebe Dich mein Kleiner. Ich weiß, dass es jetzt hier nur noch Dein Körper ist, aber es tut so weh mich von diesem für immer zu verabschieden. Er war nur ein Teil von Dir. Ich sage nicht, leb wohl, sondern ich liebe Dich und nun trage ich Dich tief in meinem Herzen. Eines Tages werden wir uns wiedersehen, da glaube ich fest dran!“ Bevor wir gingen, habe ich ein letztes Foto gemacht. Ich wartete an der Tür, bis der Bestatter den Sarg verschlossen hat und wir gingen gemeinsam nach oben, vor die Trauerhalle.


Der Bestatter übergab mir die Traueranzeige. „So würde diese aussehen, schauen Sie noch ein Mal drüber, ob alles so in Ordnung ist?“ Ich fing bitterlich zu weinen an, nun war alles erledigt und vorbereitet für die Trauerfeier.




Ich bedankte mich bei dem Bestatter. Im Auto angekommen rauchte ich noch eine Zigarette von Mario und sah mir die Bilder auf dem Fotoapparat an. Mir fiel sofort das letze Bild auf, auf dem er seine Augen geschlossen hatte. „Barbara schau, seine Augen sind ganz zu!“ Ich vergrößerte den Ausschnitt des Bildes und weinte. „Ja Hase, bis zum Schluss waren deine Augen ein bisschen auf, jetzt habe ich alles scheinbar richtig gemacht, dass Du deine Augen für immer geschlossen hast……“


Tag des Abschieds


In der Nacht vor der Beerdigung habe ich kaum geschlafen, immer wieder habe ich auf dem Bett liegend zur Haustüre geschaut, mir gewünscht, dass er zur Tür reinkommt und dass alles ein falscher Traum gewesen wäre. Mein Verstand sagte mir, er ist nicht tot, er kommt wieder, wohl damit ich den Schmerz aushalte. Meine Eltern waren angereist, so bat ich diese mit einem Freund zu der Trauerfeier zu kommen, da ich schon am frühen Morgen los musste.


Zuerst fuhr ich die Trauerkarten abholen, bewusst habe ich dazu bunte Briefumschläge gekauft, keine schwarzen. Anschließend fuhr ich 21 weiße Rosen kaufen, die meine Eltern gerne haben wollten. Eine Rose für jedes Lebensjahr. Gegen 12:00 Uhr war ich am Friedhof. Ich sah vor mir den Wagen des Bestatters. Sie waren gerade dabei, den weißen Sarg aus dem Mercedes zu holen und auf den Sargwagen zu heben. Ich saß einen Moment im Auto und schaute nur zu, mir flossen die Tränen, wie so oft in den letzten Tagen. Als ich aus dem Auto ausgestiegen war, fühlten sich meine Beine wie aus Gummi an. Ich atmete ein paar Mal tief durch, aber es half nicht. Ich zitterte am ganzen Körper.




Nach ein paar Schritten war ich auf dem Friedhof, sah von weitem den Sarg stehen. An der Aufbahrungsstelle schaute ich zu, wie die Mitarbeiter die Dekoration aufstellten. Ich sagte zu ihnen, sie sollen sich von mir nicht stören lassen, denn immer, wenn ich an den Sarg ging, haben diese pausiert, mich gefragt, ob sie mich kurz alleine lassen sollen. Sie fragten mich auch, ob die Kränze so richtig liegen würden, ich nickte nur ein JA. Die Zeit, die sich letzte Tage so gezogen hat, verflog auf ein Mal so schnell. Der Bestatter sprach anschließend mit mir noch die letzten Einzelheiten durch. Ich bat sie, als alles aufgestellt war. mich doch noch kurz alleine zu lassen, habe ein paar Bilder gemacht und noch den Sarg gestreichelt. Ich wusste, das schlimmste steht mir noch bevor.


An der Kirche angekommen, sah ich schon die ganzen Menschen. Ich ging direkt auf meine Eltern zu. Ob ich jemanden begrüßt habe, das weiß ich nicht. Der Priester kam auf mich zu: „Können Sie nach dem Gottesdienst die Menschen ein paar Minuten zurückhalten? Ich würde gerne vorfahren und mich in der Dorfkirche für die Beisetzung umziehen. Die ersten drei Reihen rechts in der Kirche sind für die Familie reserviert. Geben Sie ein Zeichen, damit die Menschen schon in die Kirche reingehen, damit wir pünktlich um 14 Uhr beginnen können.“ Wieder kein Wort des Trostes, nur Anweisungen. Ich bat dann alle in die Kirche zu gehen. Meine Mutter umarmte mich, mein Dad klopfte mir auf die Schulter. Ich sagte zu meinen Eltern. „Ihr könnt Euch in der Kirche hinsetzen, wo ihr mögt, seid mir aber nicht böse, dass ich ganz alleine vorne Platz nehmen werde.“ Ich wollte niemanden um mich haben, weiß nicht warum, es war aber in dem Moment so und es fühlte sich für mich richtig an.


Ich ging als letzter in die Kirche, diese war voll, nur die ersten Bänke waren nicht besetzt. Ich ging nach vorne, kniete mich hin und nahm Platz. Bevor der Trauergottesdienst begann, kamen manche nach vorne und haben mich gefragt, ob sie sich zu mir setzen dürfen, ich habe es dankend abgelehnt. Nun begann der Gottesdienst, ich habe kaum zugehört, nur vor mich hin geweint und mit Gott in Gedanken gesprochen. Nur ein Punkt ist mir aufgefallen, dass der Priester in seiner Rede den Satz „Ich habe gern gelebt!“ ausgesprochen hat, aber den Teil „und bereue nichts!“ ausgelassen hat. Hat wohl nicht in sein katholisches Denken reingepasst, dass er nichts bereut hat. Von dem Gottesdienst kann ich nicht viel mehr berichten. Kurz vor Ende gab mir der Priester zu verstehen, dass nach dem Lied der Gottesdienst zu ende wäre. Als ob ich noch nie bei einem Gottesdienst dabei gewesen wäre. Ich ging während des Liedes zum Ausgang und nahm den Karton mit den Karten in die Hand.




Es gingen Menschen an mir vorbei, ich nahm diese aber nicht wirklich wahr, war in Gedanken versunken. Ich reichte jedem automatisch einen Umschlag mit der Karte. In die Anzeige habe ich reingeschrieben „Von Beileidsbekundungen am Grabe bitten wir abzusehen.“ Deswegen nehme ich an, dass mich die Menschen weitestgehend in Ruhe gelassen haben. Manche berührten nur mitfühlend meine Schulter. Als alle die Kirche verlassen hatten, bin ich dann raus und habe tief durchgeatmet. Meine Eltern, bester Freund und Freundin warteten vor der Kirche. Ich zündete mir eine letzte Zigarette aus Marios Päckchen an und sagte: „Lass sie alle vorfahren, wir haben noch ein bisschen Zeit. Mama, vielleicht fangen sie ohne mich an, ich schaffe es nicht!“ Mich überkam ein Gefühl, als ob ich ohnmächtig werden würde. Meine Mutter reichte mir eine Flasche Wasser und gab mir zu verstehen, ich soll einen Schluck trinken.


Ich setzte mich in Marios Auto, der Stern war verdeckt durch einen Trauerflor. Ich machte mir seine CD an und fuhr langsam den kurzen Weg zu Marios Dorf. Die Hauptstraße war voller Autos, da ich mich dort aber gut auskannte, fand ich schnell eine Parkmöglichkeit. Die Rosen übergab ich meiner Mutter, ich nahm nur eine weiße Rose. Als ich von weitem auf dem Friedhof all die wartenden Menschen sah, wurde mein Schritt langsamer. Im ersten Moment dachte ich an Flucht, aber meine Mutter nahm behutsam meine Hand.


Sie warten alle auf mich und ich muss jetzt da durchlaufen…… Ich ging mit gesenktem Kopf zum Sarg, der Bestatter stand neben mir. Er flüsterte mir kurz zu: „Marek, wenn Sie so weit sind nicken sie einfach kurz, solange werden wir warten.“ Ich stand vor dem Sarg und starrte diesen an, immer wieder habe ich Tränen aus meinem Gesicht gewischt, weil ich kaum etwas sehen konnte. „Hase, wir gehen jetzt den letzen gemeinsamen und schwersten Weg im unserem gemeinsamen Leben. Ich weiß, dass Du nicht in dem Sarg liegst, sondern mich jetzt stützen wirst, wenn ich hinter dem Sarg laufen werde. Ich weiß, Du wirst mir jetzt die Kraft geben. Ich liebe Dich!“ Ob ich es laut ausgesprochen habe, oder leise, oder im Gedanken, weiß ich nicht. Mein Kopf nickte. Der Priester war auf einmal neben mir mit dem Messdiener. Er sprach ein paar Worte. Was er sagte, weiß ich nicht. Auch mein Tagebuch hat dies nicht festgehalten, weil ich so von meinem Schmerz in die Mangel genommen worden bin, dass ich am liebsten einfach tot umgefallen wäre.




Der Bestatter nahm mich behutsam zur Seite, weil sie den Sarg vorziehen mussten, um uns auf den letzten Weg zu machen. Der Messdiener ging mit einem Kreuz voran, dann der Priester, dann langsam setzte sich der Sarg in Bewegung, wurde kurz gewendet, dass Marios Kopf vorne war, dann hielten sie kurz an, dass ich genug Zeit hatte, mich hinter dem Sarg zu stellen. Der Bestatter bat alle, hinter mir einen kleinen Abstand zu halten, so wie es mir im Nachhinein berichtet worden ist. Nun gingen wir den letzten gemeinsamen Weg. Ich schaute auf den Sarg, weinte und verstand es nicht, warum das Leben so grausam zu uns war. Die Sargträger haben immer ihren Schritt dem meinen angepasst. Es war ein sehr kurzer Weg, aber für mich der längste in meinem Leben.


Am Grab angekommen wurde der Sarg von dem Wagen auf die Holzstützen gelegt. Der Priester segnete den Sarg noch ein Mal. Der Bestatter wartete auf mein Zeichen, wieder ein Nicken und so wurde der Sarg langsam in das Grab runtergelassen. Sekunden wurden in dem Moment zu Minuten, der Schmerz nahm mir die Luft, so, dass ich meine Krawatte lockerte und den obersten Knopf am Hemd öffnete. Ich weinte noch lauter als je zuvor. Ich nahm die Menschen um mich herum nicht wahr. Ich kam zu mir, als der Priester mir das Schäufelchen mit der Erde übergab. Ich schüttete die Erde bewusst neben den Sarg. Meine suchende Augen haben wohl dem Bestatter ohne Worte zu verstehen gegeben, dass er die Schaufel an sich nehmen soll. Er nahm sie mir behutsam aus der Hand.


„Nehmen Sie sich jetzt so viel Zeit, wie sie brauchen.“ flüsterte er mir leise ins Ohr. Ich kniete mich hin, schmiss so vorsichtig wie es ging die Rose auf den weißen Sarg und blieb stehen. Nach ein paar Minuten sagte ich zu dem Bestatter, der durch Blickkontakt meine Aufforderung verstand und zu mir kam: „Ich möchte hier stehen bleiben, ich gehe nur einen Schritt nach rechts, damit die Leute sich verabschieden können, aber ich kann hier nicht weg!“ „Das ist kein Problem!“ Er half mir einen Schritt nach rechts, weil er wohl spürte wie wackelig ich auf den Beinen stand. Ich schaute die ganze Zeit zu dem Sarg hinunter und weinte vor mich hin. Bekam mit, dass viele Menschen an mir vorbei gingen, Blumen und Rosenblätter in allen Farben regneten auf den schönen weißen Sarg. Nach einer Ewigkeit spürte ich eine schützende Hand auf meiner linken Schulter, ich sah die weißen Rosen und wusste, dass meine Mutter und mein Vater neben mir standen. Ich spürte die Kraft durch ihre Berührungen, die Kraft die letzten Minuten auszuhalten. Nach ein paar Minuten schaute ich kurz nach links und sah, dass alle vorbei gegangen waren.


Ein Mitarbeiter vom Bestattungsunternehmen stand noch da, mit einem vollen Korb Rosenblätter. Ich ging auf ihn zu, nickte und fragte freundlich „Darf ich den Korb haben?“ er nickte ein ja. Ich nahm den Korb aus seinen warmen Händen, ging zu dem offenen Grab, kniete mich mit meinem Anzug auf der linken Seite des Grabes auf die Erde und fing an die Blätter über den Sarg zu zerstreuen. „Mario, ich liebe Dich und ich werde Dich immer lieben, bis an mein Lebensende. Ich werde Dich niemals vergessen, das verspreche ich Dir! Den Ring werde ich mein ganzes Leben tragen, als Zeichen unserer Liebe. Wir haben zusammen gekämpft, wir haben zusammen den Kampf verloren, es tut so weh, Dich nicht mehr in meinen Arm zu nehmen. Kleiner mach’s gut. Ich liebe Dich. Egal wo Du jetzt bist, beschütze mich und sei immer in meiner Nähe. Durch meine Augen werden wir die Welt weiter sehen und zusammen noch vieles erleben! Ich brauche Dich!“ Dann brach ich erneut in bitterliche Tränen aus und kniete weiter auf dem Boden.


Nach einer gewissen Zeit kam meine Mama von der Seite, hob mich auf und nahm mich ganz fest in den Arm. Langsam gingen wir von dem Friedhof, manche standen noch in der Gasse und ich hörte sie sprechen, lachen, es war mir egal. Ich wollte eigentlich bleiben, bis sie das Grab zumachen, aber das würden sie nicht tun, solange ich am Grab stehe. So bat ich meinen Dad, mit dem Hund dort am Zaun entlang spazieren zu gehen und unbemerkt zuzusehen wie sie das Grab verschließen. Diesen Gefallen tat er mir. Ich bedankte mich bei meinem besten Freund, dass er da war, auch bei meiner Freundin. Bat ihn, meine Eltern sicher zu mir nach Hause zu fahren. „Mam, mach Dir keine Sorgen um mich, ich komme nachher nach Hause!“ Ich setzte mich in Marios Auto, machte die Musik ganz laut an und fuhr einfach los. Ich fuhr von der Landstraße ins Feld rein, durch die Feldwege, die ich so oft mit Mario gefahren bin. Irgendwann blieb ich stehen, machte die Tür vom Auto auf und fing ganz laut an zu schreien. „Gott, warum hast Du ihn mir weggenommen? Warum musste er so jung sterben? Warum? Warum er? Er hat doch keinem was getan!“ Ich blieb in dem Feld so lange stehen bis meine Tränen ausgeweint waren und ich mich wieder beruhigt hatte.




Statt nach Hause fuhr ich wieder zum Grab. Behutsam habe ich die Kränze von Grab genommen und neu daraufgelegt. Ich wollte, dass sie richtig liegen, warum, weiß ich nicht. Ich blieb noch einem Moment stehen, weinte und sagte zu Mario: „Jetzt haben wir einen Garten der Erinnerung, komm, wir fahren wieder nach Hause Kleiner!“ Zuhause angekommen legte ich mich auf unser Hochbett und unterhielt mich mit meinen Eltern bis ich irgendwann von Erschöpfung eingeschlafen bin. Beim Einschlafen verspürte ich eine warme, zärtliche Umarmung und so wusste ich, dass er jetzt bei mir ist.


Irgendwann am Abend hat mich meine Mutter geweckt, damit ich eine Kleinigkeit esse. Ich habe mich bei der Beerdigung gegen einen sogenannten „Leichenschmaus“ entschieden. Die engste Familie ging zu Marios Oma. Am Abend nahm ich noch ein paar Kerzen und fuhr zum Grab. Bei Kerzenschein stand ich da und konnte immer noch nicht begreifen, was die letzten Tage passiert ist.


Ein paar Tage später habe ich einen Termin bei dem Bestatter gehabt. Ich habe mich bei ihm herzlich bedankt, dass er uns mit seinen Mitarbeitern einen sehr schönen, würdevollen Abschied ermöglicht hat. Ohne die Hilfe von dem Bestattungsunternehmen wäre ich aufgeschmissen gewesen. So habe ich einen Dankesbrief im Namen von Mario und mir geschrieben, auch für die Mitarbeiter der Uniklinik. Das Abschlussgespräch bei dem Bestatter war schön, er übergab mir noch ein paar Bilder, die er auf dem Friedhof angefertigt hat, Unterlagen und viele Trauerkarten, die bei ihm während der Beisetzung abgegeben worden sind. Er teilte mir auch mit, dass über 400 Menschen an dem Tag von Mario Abschied genommen haben.


Im Nachhinein habe ich auch bei unserem Priester hier in Köln einen Termin vereinbart, weil ich mit der Kirche, dem lieben Gott gehadert habe. Er bedauerte sehr, dass es so gelaufen ist. Ich bin auch nicht auf die Idee gekommen, mit ihm vor der Beerdigung Kontakt aufzunehmen. Ich hatte, als Mario so schwer krank war, mit ihm Kontakt gehabt und vergaß ganz, dass er mir sagte, dass ich ihn zu jeder Zeit anrufen kann.


Zu einem Punkt möchte ich noch eine kurze Geschichte erzählen.


Richtige Sargträger, wenn wir uns die leisten können


Dieser Punkt entstand, weil es auf den Dörfern üblich ist, dass Freunde und Verwandte den Sarg tragen. Mario hatte da ein Erlebnis bei einer Bestattung, wo der Sarg fast fallen gelassen worden ist. Er fragte mich, mit Lachen, ob wir uns richtige Sargträger leisten können, weil er nicht einfach fallen gelassen werden möchte. Deswegen haben wir diesen Punkt so verfasst.

Meine Gedanken


Wie sich die Bestatter am Telefon benommen haben, war für mich ein unschönes Erlebnis, das ich nie vergessen werde. Deswegen habe ich, bevor mein Vater starb, den richtigen Bestatter für seine Beisetzung ausgesucht. Darüber werde ich in meinem gesonderten Beitrag berichten. Wenn ich die Frage, ob ich etwas anders gemacht hätte, bei Marios Beerdigung, mit heutigem Wissen beantworten würde, wäre die Antwort ja.


Ich hätte z.B. seine Liebliengsmusik spielen lassen, Ihn in Köln bestattet. Aber ich habe es damals nach bestem Wissen und Gewissen gemacht. Seine Beisetzung war mit viel Liebe organisiert worden, im nachhinein denke ich, dass, das das wichtigste war.


Es ist wichtig Abschied zu nehmen, vor allem sind aber auch die Menschen drum herum sehr wichtig, die den Trauernden begleiten. Deswegen würde ich jedem mit auf den Weg geben, sich Zeit zu nehmen, um den richtigen Bestatter zu suchen und nicht den ersten besten nehmen.


Dieser gemeinsamer letzter Weg ist der wichtigste für mich gewesen, damit ich beginnen konnte um Mario zu trauern. Ich habe in den ganzen vielen Jahren sehr viel Tränen vergoßen. Spüre aber eine tiefe Liebe und Dankbarkeit, für die Zeit, die wir gemeinsam gehabt haben.



Gedenkvideo zum 1 Jahrestag.

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Ein paar weitere Bilder

Diese Kerze hat Mario für uns gebastelt. Die zünde ich, wie versprochen an besonderen Tagen an



Clown - Hose, auch ich habe bis heute eine, in diese möchte ich auch beigesetzt werden.



Erinnerungsgarten an einen sehr besonderen Menschen Mario



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