Trauer um Partner - Die Geschichte zweier Königskinder

Trauer um Partner - Die Geschichte zweier Königskinder

Es war im Januar 2006, als ich eine Freundin in der Psychiatrie besuchte, die an Depressionen litt. Im Raucherraum fiel er mir zum ersten Mal auf. Ein Bild von einem Mann - groß, schlank, bereits ergraut und ein Blick wie ein verträumtes Kind. Etwa in meinem Alter. Der Funke sprang sofort über - obwohl ich mir selbst einen moralischen Rippenstoß verpasste: Hast du denn einen Riss im Deckel?? Du bist in festen Händen, und er hat mit Sicherheit auch eine Freundin.


Aber meine Vernunft war auf beiden Ohren taub. Mein Verlobter war schon ganz böse, weil ich meine Freundin nun jeden Tag besuchte. Über gemeinsame Spiele kamen wir ins Gespräch, und er schenkte mir das erste Lächeln. Von diesem Augenblick an war er "Chéri".


A. (so hieß er richtig) erzählte, dass er unter schweren Alkohol- und früher auch Drogenproblemen gelitten habe, und noch einiges mehr. Ich war blind vor Liebe_ und er gestand mir, dass es bei ihm auch gleich gefunkt habe. Meine Freundin ließ uns in Ruhe. Wir gingen spazieren, redeten über alles. Schließlich beichtete ich meinem Verlobten, was geschehen war. Da er mich nicht freigeben wollte, trafen Chéri und ich uns heimlich. Aber schon damals zeigten sich erste Anzeichen von Eifersucht, Verlustängsten und Klammerverhalten. Das schadete uns mehr, als es nützte, und es kam, wie es kommen musste.


Im Laufe von fast vier Jahren kreuzten sich unsere Wege immer wieder. Und jedes Mal lief es erneut aus dem Ruder... Meistens schaffte ich bald wieder den Absprung. Als ich endlich - gegen Ende 2009 - begriff, wieviel er mir bedeutete, war es fast zu spät. Nun brach das Chaos aus. Es war keine Achterbahnfahrt, sondern eine Bungee-Kugel. Entweder Himmel oder Hölle. Obwohl Chéri von Ärzten und Betreuerin mehrmals gewarnt worden war, trank er immer mehr und immer öfter.




Anfang Mai dann die große Versöhnung. Er war zur Entgiftung und hatte eine Therapie beantragt. Darauf setzte ich all meine Hoffnungen. Und sie war schon so gut wie bewilligt, als Chéri wieder anfing, grundlos Stress zu machen. Um die Situation nicht erneut eskalieren zu lassen, fuhr ich ein paar Tage weg. Wir telefonierten und simsten jeden Tag und freuten uns schon auf´s Wiedersehen. Dann erreichte ich ihn plötzlich nicht mehr. Sein Handy war nur noch ausgeschaltet, er reagierte auf keine SMS. Ich war in heller Aufregung und versuchte um meiner Mutter Willen ruhig zu bleiben. Es konnte einen ganz harmlosen Grund haben. Aber die Ängste verließen mich nicht...


Am Mittwoch, den 7. Juli, fuhren wir endlich heim. Ich stürzte in meine Wohnung. Das Telefon blinkte. Chéris Betreuerin hatte angerufen, aber nicht draufgesprochen, das war ein Alarmzeichen. Zufällig fand ich noch die Nummer seines Nachbarn und Freundes und wählte sie. Andreas ging sofort dran, und ich fragte, ob er was wisse.

"Ruf bei seinen Eltern an_ und guck in die Zeitung. Da steht heute drin, dass A... gestorben ist." Er klatschte mir diese Worte hin, als sei Chéri nur mal eben um die Ecke... Kurz darauf fand ich die Todesanzeige.


Diese beiden Augenblicke waren die schrecklichsten meines Lebens. Der Boden rutschte unter mir weg, die ganze Welt stürzte zusammen, ich schrie, weinte und brachte immer nur zwei Worte heraus: "Nein, Chéri... nein, Chéri..." Er war seit fünf Tagen tot und bereits begraben!


Wohl eine Woche lang gab ich Niagarafälle von mir. Dann kam die große Leere. Ich funktionierte, existierte, war innerlich genauso tot wie mein Liebster. Noch dazu musste ich keinen Monat danach umziehen und weiß bis heute nicht, wie ich das gewuppt habe. Weil ich musste. Der Umzug war nichts als Stress, nichts klappte. Als das Gröbste endlich geschafft war, saß ich nur noch dumpf brütend auf meinem Bett und hatte keinen anderen Wunsch mehr, als bei ihm zu sein.


Alles war so total sinnlos, ohne ihn würde nichts wieder gut werden, nie mehr. Die unzähligen Probleme, die wir gehabt hatten, sah ich nicht. Ich dachte nur an seine zärtlichen Hände, seine Küsse, seine grünen Kinderaugen, seine Stimme, sein Lachen und Weinen, das alles in einem Sack war. Ich schrieb unzählige Briefe, an ihn selbst, seine Familie und Freunde. Keinerlei Resonanz. Die Betreuerin brauchte zwei Monate, um die Eltern dazu zu bewegen, ihr den Ort seiner letzten Ruhestätte zu verraten. An seinem - halb anonymen - Grab brach ich erneut zusammen bei dem Gedanken, dass nichts mehr von ihm übrig war als Asche...


Mein Studium gab mir etwas Auftrieb, aber die Trauer- und Schuldgefühle kamen wieder und wurden so übermächtig, dass ich nach sechs Wochen aufgab. Trost und Hilfe fand ich durch das Forum und eine Gruppe. Mittlerweile komme ich so einigermaßen klar. Aber noch heute werfen mich Kleinigkeiten wieder um. Selten klappt mal etwas, und wenn, dann rummst es auch gleich wieder.


Immer heißt es, der Schmerz würde mit der Zeit "lebbarer" werden. Aber mit wieviel Zeit? Noch oft genug habe ich das Gefühl, er hört nie auf. Mal wird er erträglicher und dann noch schlimmer. Eine Sisyphusarbeit. Zwei Dinge kriege ich einfach nicht auf den Schirm: die Endgültigkeit seines Fortseins und den Gedanken, dass es nicht so hätte kommen müssen - und vor allem nicht dürfen... Alles Beziehungschaos dieser Welt nähme ich auf mich, hätte ich Chéri nur wieder. Noch heute ertappe ich mich bei dem Hoffnungsschimmer, es könnte alles nur ein böser Traum gewesen sein.



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