Trauer

  • Mitte Februar bekam mein Mann die Diagnose, Lungenkrebs. Nicht mehr operabel. Der Tag an dem man uns die Diagnose mitteilte war schon ungewöhnlich für mich, denn es war ein Samstag. Der Arzt, der uns die Diagnose mitteilte, war sehr vorsichtig. Aber, er sagte einen Satz, der sich in mein Gehirn eingebrannt hat. Es sagte:" Das einzige, was wir noch tun können, ist, Zeit schinden. Gehen Sie nach Hause, ordnen Sie ihre Sachen und genießen Sie Ihr leben, solange Sie es noch können!" Wir fingen an, unsere Dinge zu ordnen, sprachen über viele Dinge, aber nie über die Zeit, die ihm noch bleibt. Wir wußten es ja auch nicht wirklich. Mein Mann wollte sich noch die Einschulung seiner Enkelin anschauen( sie ist 19 Monate alt) und er wollte nächstes Jahr, wenn er dann Pause hat, mit der Aida noch mal auf Reisen gehen. Immer wenn er das sagte, bin ich traurig geworden, denn mir war klar, dass er weder das eine noch das andere noch erleben würde! Ich stürzte mich in meine Arbeit, denn mir war klar, meinen Job muss ich behalten, ich brauche ihn, um später klar zu kommen. Es hatte sich schon fast wieder eine Normalität aufgebaut. Wir lebten mit dem Wissen der Diagnose, mein Mann ging seinen Terminen nach( Chemo, Bestrahlungen, Arztbesuche) und ich ging meinem Job nach. Wenn ich nach Hause kam, erzählte er mir, wie sein Tag war, was er gemacht hat, was er sich überlegt hatte zu kochen und ich erzählte ihm von meinem Tag. Es gab Rituale bei uns. Dann kam der Tag, wo er nicht mehr essen und trinken konnte, weil das Schlucken ihm weh tat. Ich drängte ihn immer wieder, dass er zum Arzt geht. Der Arzt verschrieb mehrmals verschiedene Mittel. Irgendwann reichte es mir und ich bat ihn, dass er sich einweisen lassen soll. Im Krankenhaus beschloss man, eine Luftröhrenspiegelung zu machen. Als ich von der Arbeit kam, war er schon wieder zu Hause und erzählte mir, dass die Schmerzen ein Pilz verursacht. Sein Magen knurrte ganz laut, denn mittlerweile hatte er fünften Tag nichts gegessen. Ich schlug ihm vor, dass ich alles für eine kräftige Suppe einhole, die ich dann püriere. Mitten im Einkauf bekam ich einen Anruf von meinen Mann, er würde Blut spucken, ich müsse nach Hause kommen. Ich ließ alles stehen und liegen und rannte zu meinem Auto. Zu Hause angekommen, schickte mein Mann mich gleich wieder raus, weil er schon den Krankenwagen angerufen hatte. Der kam auch schon um die Ecke. Sie holten ihn aus dem Badezimmer, denn da saß er die ganze Zeit und stabilisierten ihn wieder. Als der Notarzt eintraf, stimmten die Sanis dann auch zu, meinen Mann in das Krankenhaus zu bringen, wo er so wie so schon Patient war. Ich sagte meinem Mann, dass ich mit dem Auto hinter her komme und auch gleich seine Sachen mit bringe. In der Notaufnahme dauerte es ziemlich lange, bis es dann endlich weiter ging. Man beschloss, meinen Mann auf die Aufnahmestation zu bringen, damit er unter Beobachtung ist und am nächsten Tag sollte sich die Tumorkonferenz noch mal zusammen setzen, um zu sehen, ob sie noch mal eine Bronchoskopie machen, weil sie sich das Blut nicht erklären können. Oben angekommen in der Aufnahmestation flakste mein Mann schon wieder rum. Es ging ihm wieder besser, er hatte wieder Farbe im Gesicht und veräppelte schon wieder die Schwester. Nach dem ich ihm geholfen hatte, sich um zu ziehen, meinte er zu mir, ich solle man nach Hause fahren. Der Tag sei auch anstrengend und lang für mich gewesen. Er würde sich jetzt Musik in die Ohren stöpseln und ein wenig ausruhen. Ich bin völlig unbedarft weg gefahren, ohne komische Gedanken. 1 1/2 Stunden später bekam ich ein Anruf aus der Klinik, dass mein Mann soeben verstorben sei. Es war Freitag der 21.3 um 21:15 Uhr. Ich habe den Arzt angeschrien, dass es nicht stimmen könnte, dass es ihm gut ging, als ich gegangen bin. Ich war wie gelähmt danach!
    Am Freitag starb er, am Montag bin ich wieder arbeiten gegangen, bis zur Beisetzung. Danach hatte ich Urlaub angemeldet, weil ja vieles erledigt werden musste. Man hat gar nicht die Zeit, zu trauern, denn jeder will was von Dir, alles muss mit Papieren belegt werden. Es ist einfach nur Hölle. Nach den zwei Wochen bin ich wieder arbeiten gegangen und habe mich regelrecht in die Arbeit gestürzt. Es herrschte so wie so gerade Chaos, was mir dann zu gute kam. Ich habe dann etwas über einen Monat gearbeitet und habe da schon gemerkt, ich muss weg. Also habe ich eine Ferienwohnung für meine Kinder( sind beide schon erwachsen), meine Enkelin und mich gebucht. Die Tage waren gut, um mal völlig ab zu schalten. Zwischendrin kamen immer wieder Momente, wo ich anfangen musste, zu weinen, wo ich mich einfach auch nicht in den Griff bekommen habe. Jetzt nach dem Urlaub fühle ich mich so rastlos, bin ständig am umräumen, aufräumen. Jetzt am Wochenende will ich das Wohnzimmer renovieren. Das ist für mich nicht normal. Vielleicht sollte ich hier mal erwähnen, dass ich schon sehr lange in Therapie bin und es gewohnt bin mittlerweile, mich zu reflektieren. Pünktlich zur Beisetzung ging meine Therapeutin für 4 Wochen auf Lehrgang. Und heute hat sie mir mit geteilt, dass sie in den Ferien dies mal für volle 6 Wochen auch wieder nicht da sein wird. Sie fragte mich, ob ich vielleicht zu einer Kollegin von ihr hin wollte. Aber das kommt für mich gar nicht in Frage. Es war so schwer, überhaupt Vertrauen zu ihr auf zu bauen und jetzt ausgerechnet in dieser Situation soll ich mich auch noch auf eine neue Person einlassen? Das funktioniert nicht! Aber, ich habe auch Angst vor der Zeit, wo sie nicht da sein wird. Zwar haben wir jetzt noch drei Termine gemacht, aber dann ist sie 6 Wochen weg. Da in letzter Zeit es immer öfters passiert, dass ich mich nicht in den Griff bekomme, meine Trauer einfach hochschwappt, muss ich etwas finden als Alternative. Ich weiß nicht, ob dies hier die richtige Anlaufstelle ist, denn man kann ja in den Chat nicht rein schauen. Vielleicht kann mir ja jemand antworten?!
    Vielen Dank
    tonaty

  • Liebe Tonaty,


    mein aufrichtiges Beileid zu deinem Verlust.
    Natürlich bist du hier richtig, wir alle kennen das was du erlebt hast nur zu gut.
    Als ich deine Geschichte las, kam mir meine eigene wieder in den Sinn. Auch mein Mann hatte Lungenkrebst, beidseitig, kleinzellig, inoperabel.
    Ich höre noch heute die Ärztin zu mir sagen, alles was wir noch tun können ist ihrem Mann Zeit zu verschaffen.
    Natürlich haben wir beide bis zuletzt auf ein Wunder gehofft. Ich habe die letzten 19 Stunden seine Hand gehalten, seine Atemaussetzer mitbekommen und doch habe ich bis zu der Sekunde als die Ärztin mir sagte, dass er es überstanden hat, gehofft .......auf ein Wunder gehofft.


    14 Tage nach seinem Tod ging ich wieder arbeiten, aber nur eine Woche dann 6 Wochen in Urlaub. In dieser Zeit war mir einfach alles zu viel.
    Dann nach Monaten ging es mir wie dir, ich habe umgeräumt, Schränke ausgeräumt, wollte die ganze Wohnung umgestalten. Dann kam wieder die Starre, die Schränke standen ausgeräumt da, ich war nicht fähig auch nur einen aus der Wohnung zu schaffen. Nach seinem ersten Todestag dann wieder totaler Aktionismus, hab einen Schrank verkauft den andern auf den Wertstoffhof gebracht. Wände tapeziert neue Lampen gekauft. vor einigen Wochen dann wieder der Absturz nichts ging mehr, jetzt kurz vor seinem 2. Todestag, plane ich meine/unsere Wohnung aufzugeben und mir für mein neues Leben auch ein neues Heim zu suchen.
    Das heißt für mich und meine jetzt 11 jährige Tochter.


    Du siehst du bist nicht allein mit deinen Ambitionen. Die Trauer verläuft wellenförmig und das Selbe gilt für unsere Psyche. An den Tagen an denen es uns gut geht versuchen wir oft unser ganzes jetziges Leben zu verändern. Dann wenn uns wieder so eine Trauerwoge erfasst sind wir ganz unten und unfähig uns zu bewegen.


    Schreib hier einfach jederzeit wie es dir geht, was du empfindest, oft hilft schon alleine das Schreiben. Du wirst sehen du bist mit keiner deiner Empfindungen alleine, wir alle können jede einzelne nachempfinden.


    Liebe Grüße

  • Hallo Tonaty,
    mein Dad hat auch Lungenkrebs und wir begleiten ihn gerade. Leider wissen wir nie, wie viel Zeit bleibt und wie alles kommen wird. Trauer, ein Berg ab und auf, aber eins schaft man nicht, davon zu rennen.


    Ich spreche jetzt Bildlich, damit ich es zum Ausdruck bringen kann, was ich Dir sagen möchte. Stelle Dir eine Plattform auf Meer vor, diese steht nur auf zwei Pfeiler. Diese Plattform bist Du und die Pfeiler sind deine Kinder und die Therapeutin. Bricht ein Pfeiler weg, kann die Plattform nicht stehen und fällt ins Wasser, weil sie ins wanken gerät und nur ein Pfeiler kann diese nicht oben halten. So geht es Dir mit deiner Angst, weil deine Therapeutin 6 Wochen in Urlaub geht. Baue Dir Pfeiler auf, die Dich in schweren Zeiten auffangen können, die dein Anker in der schweren Zeit sein können. Das können Freunde, Forum oder andere Personen, Sachen sein.


    Wir hier können Dich auf deinen Weg virtuell mit begleiten, wir können Dir ein Pfeiler sein. Deswegen gibt es diese Seite, Hilfe zur Selbsthilfe für Menschen, die das Bedürfniss haben nicht mehr alleine zu sein und um verstanden zu werden, dass es erst so viel und so viel Zeit vergangen ist und nicht schon. Viele Menschen erwarten von uns, dass alles wieder "gut" werden soll und unser Leben "normal" weiter gehen soll, aber es ist nicht so. Es wird nicht wieder so werden wie es war, aber anders. Wir lernen mit den Schmerz des Verlustes zu leben, der eine schneller der andere langsamer, aber drauf kommt es nicht an. Wichtig ist diesen Weg für sich zu gehen und auch zu sagen, ich schaffe es nicht alleine und suche mir einen Anker, bei Menschen die es "verstehen" wenn es mir nicht gut geht.


    Das Forum ist bewusst so aufgebau, dass Gäste nur gewissen Teil sehen können, der Grund dafür ist uns vor Neugierigen Blicken zu schützen. Wir schliessen keinen aus, aber ein Mensch, der sich mit Trauer auseinander setzten möchte oder muss, der findet den Weg der Anmeldung. Es ist wichtig die Menschen auch in der Phase, wo sie so sehr verletztlich sind zu schützen und das tuen wir damit, dass man von Aussen nicht so einfach reinschauen kann. Wenn es einem Menschen nicht zusagt, kann er sich immer noch löschen lassen. Soviel zu deiner Feststellung, dass es von Aussen nicht einsehbar ist.....


    Ich wünsche Dir viel Kraft auf deinen Weg, den Du vor Dir hast. Auch ich habe meinen Partner an Krebs verloren.


    Liebe Grüße
    Marek Jan

  • Hallo Mandi, hallo Marek Jan,


    ganz lieben Dank für Eure Antworten. Ich werde mich registrieren lassen und versuchen, hier einen Ersatzpfeiler mir zu bauen. Ich fand das Beispiel sehr schön und sehr verständlich.
    Es ist beruhigend für mich, dass ich nicht alleine so empfinde, sondern auch andere diese Phasen kennen. Zwar habe ich nicht erleben müssen, wie mein Mann dahin siegt, aber ich habe gewußt, was auf uns zukommen würde und habe versucht, meinen Mann dahin gehend zu bekommen, dass er ehrlich zu mir ist, damit ich dann, wenn es zur Qual werden würde, reagieren kann. Ich habe ihm erzählt, welche Möglichkeiten wir haben, damit er sich nicht quälen muss und er war einverstanden. Im Nachhinein sage ich mir immer, es ist für ihn besser, dass er so gestorben ist. Er hat es nicht gespürt, nicht geahnt. Ein Geschwür hat sich um die Hauptschlagarder gelegt und die Wand durchbrochen. Es war ein Sekundentod. Meine Kinder habe ich versucht, damit zu trösten, in denen ich ihnen aufgezeigt habe, wohin der Weg gegangen wäre. Und das ist es auch, was mich immer wieder tröstet. Mein Mann musste sich nicht quälen, er konnte noch in Würde gehen und unsere Kinder haben ihn so in Erinnerung, wie sie ihn immer erlebt haben.
    Euch ganz lieben Dank
    Ich gehe jetzt zum registrieren
    Gruß
    tonaty

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