Sie waren meine Eltern

  • Achtung, der Text hier wird heftig. Wer ein Gewaltbetroffener ist, sollte vielleicht lieber nicht weiterlesen.


    Sie sind im Abstand von anderthalb Jahren gestorben. Das mit meinem Vater ist ein halbes Jahr her. Wer weiß, wer sie wirklich waren und was sie mir angetan haben, versteht nicht, warum überhaupt so etwas wie Trauer da ist. Höchstens Tränen der Erleichterung, dass sie wirklich keine einzige Chance mehr haben, gewalttätig zu sein oder auf mir rumzutrampeln oder mich bis zum Erstarren in Flashbacks oder Panik zu triggern, und sie haben auch eigenhändig für die Trigger gesorgt. Eigenhändig ... die Formulierung ist fast schon in Witz. Oh ja, und wie eigenhändig. Manchmal mit vollem Körpereinsatz - oh ja und wie - schief grins. Humor ist eine Möglichkeit, Belastendes auf Abstand zu halten und darin war ich immer gut. - Ich sollte froh sein, dass sie nicht mehr da sind, mich endlich frei fühlen und einen drauf machen. Aber danach war mir nicht und danach ist mir nicht. Als die letzte Nachricht kam, hatte ich danach mit was anderem zu tun: mit meiner Panik und mit meinem Kampf gegen alte Botschaften, die alle nur auf die eine rausliefen: Suizid. Das verdanke ich vor allem ihm. Sie war weniger daran beteiligt. Eine Freundin hält das Einbläuen dieser Botschaft für Absicht mit dem Ziel, dass das große Familiengeheimnis auch immer geheim bleiben würde. Es spricht viel dafür. Ich hoffe irgendwo, dass er sich nur daran aufgegeilt hat, mir in diesen Situationen noch mehr Angst zu machen und zu verhindern, dass ich abhaue oder was sage. Aber ich weiß, wie planvoll er immer vorgegangen ist. Sie wird Recht haben.
    Jetzt habe ich die wichtigste Hürde genommen für ein neues Leben. Und es ist mir unendlich schwer gefallen. Es hat lange gedauert, es hat mich alles gekostet, aber nun ist die Hürde genommen: ein Plan, ein Plan für die Zukunft, ein Plan meiner Zukunft, ein Businessplan. Ab jetzt geht es weiter. Ich habe mich erfolgreich gegen seine Suizidaufforderungen und -prophezeiungen gewehrt. Ich weiß, er war kein Mensch, der Mitgefühl verdienen würde oder Trauer. Meine Mutter war auch gewalttätig, aber anders als er. Sie hatte Gewaltausbrüche und war manipulativ und mehr verbal sadistisch. Er war ein Sadist, liebte perverse Spielchen und ihm kam es darauf an, mich zu brechen. Immer wieder. Und mich "abzurichten".
    Niemand zum Betrauern. Und trotzdem tue ich es. Es ist keine große Trauer, es geht nicht um den Verlust eines geliebten Menschen, wie er sonst hier auf den Seiten zu finden ist. Aber Trauer ist da. Ich glaube, das liegt daran, weil irgendwo doch noch nicht alle Liebe totgeprügelt war. Weil sie beide die Chance verpasst haben, ihr Leben wieder auf de Reihe zu kriegen. Weil sie sich nie geändert haben und dafür auch nie die Notwendigkeit gesehen haben. Sie haben ihr Leben vergeudet und die falschen Entscheidungen getroffen. Ich bin traurig darüber.
    Und ich bin traurig darüber, dass es sie nicht mehr gibt.
    Ich hatte immer die ganz kleine, winzige Hoffnung, dass sie vielleicht doch noch irgendwann die Kurve kriegen,auch wenn alles dagegen spricht und es eigentlich nicht sein konnte. Und es ist ja auch nicht so gekommen.
    SIe fehlen mir in der Art, wie sie zwischendurch mal kurz sein konnten.
    Und es tut mir leid, dass sie tot sind. Und es tut mir weh.
    Damals als ich erst den einen und dann den andern zu Hause gepflegt habe, war es auch zweigeteilt, einerseits das eingebläute für sie zu Hause sorgen zu müssen, andererseits dies aus dem Gefühl der Zuneigung zu tun. Die beiden fühlen sich sehr unterschiedlich an.
    Wie trauert man um jemanden, der das nicht verdient?
    Vielleicht, indem ich als erstes das Gefühl an die Seite schiebe, nicht trauern zu dürfen.

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    Hier handelt es sich um ein Trauer-Austausch-Thema.
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